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gr_indiv:0018

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↖️ Der Deuterus lebt vom, ja ist das Spiel mit dem Halbtonschritt „mi-fa“ (=si-do). Diese mi-fa Spannung ist aber genau das erste Opfer im Übergang vom authentischen Choral zur zweiten Gregorianik. Die ersten Ansätze dieser do-Revision sind bereits im 10. Jahrhundert, noch vor der Jahrtausendwende festzustellen. Nun ist unser Leitcodex E erst um 1000 geschrieben worden.

Ein weiteres Factum ist bei der Restitution des „authentischen“ Chorals zu beachten. Beim Studium der Responsoria prolixa wird offensichtlich, dass es um die Jahrtausendwende bereits eine deutlich unterscheidbare westfränkische (frOc) und ostfränkische (frOr) Melodietradition gibt, die sich ab dem Aussterben der Karolinger (814/870) ausgebildet haben. Im Antiphonenrepertoire bedeutet das, es stehen MR+Wc (frOc) gegen H+Ka (frOr). Interessanterweise folgen die aquitanischen Quellen meist frOr, die beneventanischen Quellen aber frOc.

Ein Drittes wird sichtbar: Während die ostfränkischen Handschriften aus einer einzigen Quelle (St.Gallen) sprudeln und in einer germanischen Umwelt sprachlich isoliert, ungestört die Tradition weitergeben, ist die westfränkische Umwelt lateinisch (romanisch, eigentlich muttersprachlich), dezentral (Metz, Lyon, Chartres…) und neue stilistische Strömungen können so viel leichter in den Gregorianischen Choral eindringen. Kurz gesagt, die westfränkische Tradition ist moderner.

Es spricht nichts dagegen, diese Erkenntnisse auch bei der Restitution der Messgesänge zu berücksichtigen.

gr_indiv/0018.1605204969.txt.gz · Zuletzt geändert: 2020/11/12 18:16 von xaverkainzbauer