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cento_an:pr1_ter

◻️ PR1 TYPOS
▫️ Incipit ▫️ Medium ▪️ Terminatio


PR1 TERMINATIO

Gregorianische Melodien sind grundsätzlich vom Schluss her gedacht: „in finis iudicabitur“.

Alle Schlussformeln des Protus authenticus lassen sich auf eine einzige Grundmelodie zurückführen: die fallende Linie la-sol-mi-re (a-g-e-d). Sie ist der gregorianische PROTUS authenticus (PR1) (nicht der moll-Dreiklang). Diese klassische Struktur des PR-auth allein kann schon eine ganze (kleine) Antiphon bilden:

semiologische Deutung 0684 „Laudate dominum“

Das celeriter (c) auf der ersten Silbe und das Episem am Wortende zeigen in genial einfacher Weise, was die Neumen Hartkers können. Das celeriter weist auftaktig auf den Akzent „Lau--te“ hin; das Episem rundet ab, verhindert ein taktierendes Betonen der Akzentsilbe und erzwingt einen sprachlichen Zugriff (artikulieren) an Stelle eines taktierenden Absingens (rhythmisieren, betonen) „Lau--te)“. Der weitere Verlauf ergibt sich nun von selbst.


1TER de5

Terminatio de quinto tono - PROTUS von der Quint

150 mal wird diese Melodie im Kernrepertoire verwendet (alles zusammen 300mal). Sie ist der Protus authenticus.

Der letzte Akzent

Mit dem letzten Akzent erreicht die Centomelodie die Finalis re, egal ob das letzte Wort Paroxytonon (PO) 0684, Propoaroxytonon (PPO) 0686 oder Oxytonon (O) 0109 ist. Bei PPO wird die Binnensilbe vor Vernachlässigung geschützt (beachte z.B. im französischen: „dominus“ – „domnus“) indem sie mit kurrentem Pes versehen ist (Virga urgens). Der erste Ton ist hier sicher nicht mehr als ein portamento.

Vor dem letzten Akzent

Der Wert dieses letzten Akzentes, seine Schwere, ist von der Neume zuvor beeinflusst: Die Clivis führt verbindend in den Akzent 0438 und nimmt so seinen Wert etwas zurück, der Cephalicus staut den Akzent an 0909 und wertet ihn so auf. Nie kann diese letzte Neume vor dem Akzent durch Diärese auf zwei Silben aufgeteilt werden.

Synerese + Erweiterung

Die einzelnen Teile des Cento können durch Synärese und Erweiterung in unterschiedlicher Weise den Textgegebenheiten angepasst werden.

la-sol kann zur Clivis zusammengezogen werden (Synerese), wenn zu wenig Silben zur Verfügung stehen 0426, ebenso mi-fa zum Pes 0235. Die Regeln nach denen dabei die Akzente behandelt werden, sind schwer festzulegen.

Ein anderer Fall ist die Clivis sol-fa 2018. Der Terzsprung nach unten sol-mi kann durch die Clivis sol-fa aufgefüllt werden, wenn ein fließendes Weitergehen im Text erforderlich ist.

Wenn die Texte zu lange werden, kann der Cento TER de5 nach vorne erweitert werden: Beginnt der Text mit einem PPO, kann der zweite Ton des Cento, das sol verdoppelt werden 1827, die Wiederholung der Melodiebewegung la -sol 0075 eignet sich bei noch einer Silbe mehr. Hier sollte auch die

zum Cephalicus

Ein eindrückliches Beispiel für die Bedeutung des Cephalicus ist der Vergleich der Lucia-Antiphonen 0055 und 0056. Im ersten Fall wird die Clivis auf der Silbe vor dem letzten Akzent zum Cephalicus reduziert und damit „christi“ zum wichtigeren Akzent. Im zweiten Fall wird die Virga auf dem Akzent „spónsa“ zum Cephalicius erweitert und damit dieser Akzent der wichtigere. Der unterschiedliche Sinngehalt der so ähnlichen Texte ist damit überzeugend ausgesprochen: Lucia ist Zeugin Christi, ja ist sogar die Braut Christi.„

„Lucia martyr) Chrísti“ 0055 „Lucia, Zeugin) > Chrísti

„Lucia spónsa Christi“ 0056 „Lucia, Bráut Chrísti.

Wenn auch im ersten Fall der Cephalicus, traditionell benannt, diminutiv (von der Clivis hergeleitet) ist und im zweiten Fall augmentativ, so sind sie in der Neumenschrift und als Klangereignis ident: ein einziger klanglich vermehrter Ton. Wäre im ersten Fall der Cephalicus eine „diminutive Liqueszenz mit einem zweiten kleinen Ton“, so wäre der Stau zerstört, der Cephalicus überflüssig und es könnte gleich die Clivis stehen bleiben.

Übersteigernde Erweiterung

Eine weitere Möglichkeit den Cento TER de5 auszuweiten ist der Einschub eines weiteren übersteigernden Akzentes (Pes sol-la) nach dem Melodiehochpunkt sol 1341.

Diese Übersteigerung kann allerdings auch ohne Erweiterung des Cento geschehen. Der Pes sol-la wird einfach als Akzentsteigerung auf das sol aufgesetzt. Diese Akzentsteigerung ist nicht der TER de5 vorbehalten, sondern findet sich als Zusatz auf fast allen TER des PR1.

Ohne das anlautende „mi“ mit unterschiedlichen Einleitungen festigt es sich zu einer eigenen kleinen TER-Formel, die nicht mehr auf den Protus beschränkt bleibt .

Allerdings liegt der letzte Akzent nun nicht mehr am Ende auf re, sondern auf dem Akzentpes sol-la selbst. Diese Formel wird gerne im PR de4 verwendet, kommt aber vor allem vor allem im 8.Modus häufig vor. Damit sind die Grenzen des Protus überschritten und damit auch die Grenzen einer auf nur einen Modus beschränkten Centologie.

Zusammenfassend kann gesagt werden: Die 1TER de5 (Protus von der Quint) führt den Sprachbogen vom emotional hochgespannten Ténor „la“ zur Finalis „re“, und korreliert somit mit den Incipits zum la. Ist die Aussagespannung der Antiphon nur auf mittlerer Höhe, so verkürzt sich der Cento zum 1TER de3.

Doppelpunkt

An dieser Stelle ist auch von einem Faktum zu reden, das in anderen Centones häufiger und signifikanter auftritt, systematisch aber bereits hier seinen Platz hat: dem „Doppelpunkt“. Wenn ein Cento nicht einfach abschließen soll, sondern weiterverweist, wie es mit Doppelpunkt, oder auch Fragezeichen angezeigt wird, so unterlegt der Gregorianische Choral wie die gesprochene Sprache den Text nicht so, dass mit dem letzten Akzent die Finalis erreicht ist („ich will dir ja gláuben“) sondern der Akzent bleibt oben und erst die letzte Silbe fällt („ich will dir ja gláuben“), ein nachfolgendes „aber…“ wird hörbar.

Dieses Öffnen eines Centos auf den nächsten hin, dieses Weiterführen, bestätigend (Doppelpunkt) oder fragend (Fragezeichen), geschieht in Finalformeln durch „falsche“ Unterlegung des Textes, in Incipit- und Mediumformeln endet der Cento in diesem Fall mit einem anderen Ton als dem üblichen.

Torculus

Ein weiteres Element, das systematisch viel später zu behandeln wäre, methodisch aber bereits hier anzusiedeln ist, ist der auf den Cento aufgesetzte Torculus.

Soll innerhalb des Cento TER de5 eine Silbe nachdrücklich hervorgehoben werden, so wird sie mit Torculus versehen. Der Torculus „schmückt“ eine Silbe. Er ist einerseits ein „Pes flexus“, der Pes akzentuiert ihn, andererseits ist sie eine „Clivis urgens“. Die Clivis breitet die Silbe aus.


1TER de3

Terminatio de tertio tono - Protus von der Terz

Die Regeln bleiben die selben. In bestimmten Kontexten kann dieser TER-Cento auch vom sol, oder mit dem klassischen INC des 2. Modus (PR2) do-re-la vom re eingeleitet werden.

1TER PR de3 und de5 haben gemeinsam, dass ihr vorletzter Akzent zusätzlich betont werden kann durch die Übersteigerung des sol mit einem Pes sol-la. Dieser kann kurrent oder nicht kurrent sein (kPes - nkPes), was eine zusätzliche Differenzierung des Akzentes ermöglicht.

Dies alles zeigt einen rein textsinnbezogenen, einen semiologischen Umgang mit der Melodie. Es wird nicht einer Melodie ein Text appliziert, es wird nicht einem Text eine Melodie übergestülpt, sondern Text und Melodie erwachsen aus einem gemeinsamen Gestus des stylus verbo-melodico.


1TER +Clv

terminatio de3 cum clive - PROTUS von der Terz mit Clivis

Soll die Terminatio ruhig, breit, ohne starke Emotion auslaufen, so wird der Pes mi-fa der TER PR1 durch die nicht kurrente Clivis fa-mi ersetzt und so der Cento beruhigt.

0105 „Der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben er wird in Ewigkeit herrschen“. Interessant, dass in diesem Fall nur H und Bv die Clivis verwenden. Alle anderen schreiben den „Normalfall“ Pes.

Auch in 0245 verweigern sich viele Handschriften dem Sonderfall Clivis. „Selig der Apostel, dem die Geheimnisse des Himmels geoffenbart sind“ verdient eher Beruhigung als Aufregung.

Das Selbe gilt 0564 von „devotione“. Die Beneventaner und Lucca gehen hier nicht mit.

1296 ebenfalls ein schönes Beispiel „Hi qui linguis loquuntur novis galilei sunt“ Die frühen Handschriften H,MR,Bv (Tol schwindelt sich durch) verstehen noch die gelangweilte Skepsis des Publikums: „Das sind doch nur Galiläer, was sollen die schon Fremdsprachen können“. Aufregung (= Pes) ist hier fehl am Platz. Die späteren Handschriften standardisieren alle: mi - fa.


1TER v.add

Terminatio cum verbo addito - mit nachgestelltem Wort

Wenn einem an sich fertigen Schlusssatz noch ein Wort nachgestellt wird, in mehr als der Hälfte der Fälle ist es das „alleluia“, so wird der Cento verbo addito verwendet. Nicht ungern eröffnet eine Antiphon den Schluss mit einer normalen Terminatio (TER de5, TER de3, TER+Clv) und kippt in seinem Verlauf in den Cento verbo addito. Man wird in den Schluss geführt als hätte er kein nachgestelltes Wort. 1769 „Wer mir nachfolgen will / verleugne sich selbst* nehme sein Kreuz auf sich / und folge mir + spricht der Herr“. Ein klassischer TYPOS PR1 mit TER de3, wenn nicht das „dicit dominus“ nachgeschoben wäre.

1101 Die Emmausjünger „Herr bleibe bei uns, denn es wird (schon) Abend“. Mit der TER PR1 de tertio wäre das vertont; das nachgestellte „alleluia“ erfordert TER PR1 verbo addito: zwei Clives die von der mittleren Rezitationsebene fa unter die Finales zum do schwingen (fa-mi re-do) und nach einer dritten Clivis (fa-mi) die Finalis erreichen.

1356 Das Paulusbekenntnis „Ich weiß, wem ich geglaubt habe und ich bin sicher, dass er die Macht hat, das mir anvertraute Gut bis zu jenem Tag zu bewahren.“ Anders als bei 2 Tit 12 wird „er“ im Nachhinein benannt: „der gerechte Richter - iudex iustus

Die Clives können wieder zum Cephalicus reduziert werden, um entgegen dem ruhig weiterführenden Chartakter der Clivis (enttonend), ein stauendes Hervorheben der Silbe zu erreichen (Cephalicus).

0292 Die Wort „psallite“ ist ein PPO und die Silbe „psalli-te“ darüber hinaus nicht liqueszenzfähig. Dem PPO entsprechend wird die Clivis fa-mi auf zwei Einzeltöne aufgeteilt. Die Clivis re-do der nicht liqueszierbaren Silbe „psalli-te“ wird, um die Stau ohne Liqueszenz zu erreichen (Doppelpunkt ?) auf den zweiten Ton do reduziert! (siehe auch 1411)


1TER penult

Terminatio cum pede ad quartum - Der vorletzte Akzent ist stark betont

Ist die vorletzte Silbe eines Textes besonders hervorzuheben, so wird dieser Akzent mit dem QuartPes re-sol versehen.

Der Pes des Cento TER PR1 accento penultimo wird meist mit den Tönen sol - mi - do eingeleitet und gleicht im weiteren Verlauf der TER PR1 concisus (s.u.).

Das letzte Wort kann wie immer PO, PPO oder O sein, immer wird mit dem Akzent die Finalis re erreicht.

Das vorletzte Wort ist meist ein PPO. Bei PO entfällt das mi.

1933 bietet ein PPPO (Propraeparoxytonon?)! „mái-es-ta-te súis“. Hier wird der QuartPes auf zwei Silben geteilt und aus dem nkPes re-sol werden Einton re und kPes re-sol (Dierese). Aus zwei Tönen werden nicht drei, sondern der zweite Ton sol wird mit portamento abgesichert.

Wie immer wird das Clivis - Cephalicus - Spiel gespielt, um dem Text individuell gerecht zu werden: Terzsprung nach unten kann mit Clivis aufgefüllt sein: der folgende Akzent wird enttont (vgl.: 0916 und 0558, auch 0001, 0199). 0239).

Auch die beiden Clives der 1TER verb.add können den Cento 1TER penult einleiten (0219 etc). 1TER verb.add und 1TER penult sind hier zu einem einzigen Cento verschmolzen.

In 1822 wird „domi-num iesum christum“ um der Wichtigkeit des Namens besonders behandelt: Die beiden Clives verschmelzen zum 4tönigen Climacus fe-mi-re-do; obwohl „iesum“ ein PO ist, fällt das mi nicht aus, es verschmilzt mit dem QuartPes zum nkTorculus (Akzent!), der Cephalicus hebt „christum“ hervor.

1410 Die außerordentliche Einleitung sol + Clv fa-mi ist vom vorhergehenden Cento zu verstehen (siehe BIN trivium).

0239 + 1042 Die Zusammenziehung zur Clivis mi-do „spi-ritum mum“ und „-mor desto“ ist der Kürze des Textes geschuldet. Nur einen Einton do wie in 2004 verbietet die Wichtigkeit der Silbe.

Alles in allem zeigt sich hier die Vielfalt, die aus einem einzigen kleinen Cento zu ziehen ist, ohne die Grenzen einer Gedächtniskultur zu sprengen.


1TER conc

Terminatio concisa - lapidarer Schluss

Nahe verwandt der 1TER penult ist diese Terminatio: Lapidarer Schluss. Zweiakzentige Texte werden bei diesem Cento den Tönen fa - sol - mi - fa unterlegt und durch Synerese der Silbenzahl angepasst. Die Akzente liegen auf fa - mi und der letzte Akzent auf re.

0363 Einzeltöne können durch Clivis abgerundet, verbreitert, enttont werden. Dadurch wird der folgende Akzent zurückgenommen.

0677 Die Folge von zwei Clives wird vor allem in Benevent gerne verwendet. In 0677 stauen sie fast schon wie die FML retardens (Kustpause), allerdings schlichter, ohne die Dramatik dieser Formel.

„Die Ersten werden die Letzten sein, und die Letz← ten ← die Ersten.

0320 Um die Wirkung eines Doppelpunkts oder Fragezeichens zu erreichen, wird der Text „falsch“, gegen die Akzente unterlegt, oder anders gesagt: Erst mit der letzten unbetonten Silbe wird die Finalis erreicht, die Silben davor sind syllabisch unterlegt.

„Iohannes quidem clamabat dicens : ego non zum dignus baptizare dominum“ vide et: 1987 Im 4. Modus wird dieser Cento 3x einen Ton höher verwendet 0309, 0696, 0891.


Zusammenschau

Alle Schlusscentones - Terminationes des Protus authenticus (1TER) beruhen auf einer einzigen Melodie: la-sol-mi-re, jedoch nur die emotional hochgespannten beginnen mit „la“, die meisten sind auf mittlerer Ebene „fa“ angesiedelt. Unterkühlte Texte die von „re“ starten, zählen grundsätzlich zum Protus plagalis (PR2).

Damit sind alle Terminationes des Protus authenticus abgedeckt. Varianten und Verschmelzungen bereichern das Erscheinungsbild.

cento_an/pr1_ter.txt · Zuletzt geändert: 2020/12/12 12:17 von georgwais