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antiphon:einleitung

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Gregorianischer Choral

Eine Einleitung, eine Erklärung


Definition und Positionierung

Gregorianischer Choral ist der der lateinischen/römischen Kirche eigene liturgische Gesang. Er ist einstimmig und unbegleitet. Leider wird „unbegleitet“ in den jüngeren Ausgaben der Lexika systematisch vermieden. Man will damit der gerade einmal gut 100jährigen Praxis der Orgelbegleitung des liturgischen Gesanges nicht schaden. Dem Gregorianischen Choral nützt das nicht, Sprachkunst funktioniert nur, wenn sie nicht in ein Procrustesbett des Taktschlagens – in einen Gipsverband der Orgelbegleitung eingezwängt wird. Gregorianischer Choral ist Sprachkunst, das heißt, Regeln der Rhetorik stehen höher als gängige Vorstellungen von Musik.

Zu den liturgischen Gesängen der lateinischen Liturgie ist Folgendes festzustellen: Vor und nach dem II. Vaticanum gab und gibt es fixe Texte (die Formulierung „vorgeschrieben“ lehnen wir ab) zu den einzelnen Positionen der Liturgie. Sie sind Maß für jede aktuelle Gottesdienstfeier. An diesem Maß sich nicht zu orientieren, dieses Maß zu vergessen, ja dieses Maß abzulehnen, ist Verlassen der römisch/abendländischen Tradition. Das heißt nicht, dass wir uns einer Vorstellung von Tradition verpflichtet fühlen, wie sie jene sehen, die sich auf Pius X. berufen, ohne seine Aussagen in ihrer historischen Bedingtheit zu verstehen. Wir versuchen, den Gregorianischen Choral als künstlerisch/religiöse Höchstleistung seiner Zeit (8.-10. Jh.) und gleichzeitig als zeitlos gültige Aussage zu kennen und zu verstehen. Das ist die Voraussetzung, überhaupt neue Wege im liturgischen Musizieren gehen zu dürfen. „Liebe, und tue was du willst“ (Augustinus). Wer die Liturgie liebt, kennt sie. In diesem Ramen aber ist alles scheinbar Unmögliche und Neue möglich.


Der Erste hat das Haar gespalten und einen Vortrag darüber gehalten.
Der Zweite setzt das Haar zusammen und muss die Ansicht des Ersten verdammen.
Im Buche des Dritten kann man lesen, es sei nicht das richtige Haar gewesen. - Ludwig Anton Salomon 1862-1939

Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte. - Friedrich Schiller Die Bürgschaft 1798


Das haben wir noch nie so gemacht.
Da könnte ein jeder kommen.
Das wäre ja noch schöner. - österreichische (nur?) Beamtenweisheit



das Repertoire

Antiphonale Antiphonen Responsoria breve

Nocturnale Responsoria prolixa

Graduale Proprium Ordinarium

Kantillationen

verbo-melodico Sprachkunst

Hymnus


historischer Rahmen

Ambrosius +397 Hymnus und Antiphone

Augustinus +430 „de musica“

liturgisches Rezitativ, Psalmodie

Leo I. d.Gr 440 - 461 Orationen, klassische „Latinität“

Graduale

Gregor I.d.Gr 590 - 604 Choral

Offiziumsantiphonen

Introitus + Communio

Chrodegang v.Metz +766 lateinische Liturgie, „Revision“

Offertorien

Karl.d.Gr +814 gregorianischer Choral

Halleluia

vor und um 1000 Verschriftlichung


mündliche Tradition

Gregorianischer Choral ist als Gedächtniskultur entstanden und Jahrhunderte lang mündlich tradiert worden. Eine Tradition solchen Umfanges ist nur möglich, wenn „Fertigbauteile“ verwendet werden, die den Text adäquat zum Klingen bringen.

In der responsorialen Komposition ist das: Rezitation und Interpunktion, mag das nun bloß durch eine Formel, oder durch ein ganzes vieltoniges Melisma geschehen.

In der antiphonalen Komposition sind das Typos (eine ganze Antiphon) - Cento ( ein Halbsatz) - Formula (ein Wort)

In der zweiten Gregorianik lösen sich diese Formen auf, man kann ja mittels Notation jede individuelle, subjektive Eigenart ohne Rezeption durch die Gemeinschaft/Fraternitas/Societas für die Zukunft bewahren.


responsoriale - antiphonale Komposition

Orationston GR Antiphon Alleluia


Modi

1 subtonal - 8 subsemitonal

zwei Brennpunkte elipsenartig


2. Gregorianik und gregorianischer Historismus


Paleographie - Semiologie - Centologie

Mit der Wiederentdeckung des Gregorianischen Chorals nach der französischen Revolution durch Prosper Gueranger und sein Kloster Solesmes, aber auch durch die am Ende des 19. Jahrhunderts junge Musikwissenschaft an den Universitäten Europas, allen voran Peter Wagner in Freiburg/Schweiz ging es darum, die Quellen paleographisch aufzuarbeiten. Solesmes hat mit seiner „paleo“ das Wettrennen eindeutig für sich entschieden und sich damit das Monopol über die Quellen auf Jahrzehnte gesichert und durch die „editio typica“ auch ein angeblich kirchenrechtlich gesichertes Monopol über die Rezeption geschaffen, das von manchen Kreisen auch heute noch eingefordert wird. Damit war die Beschäftigung mit dem Cantus Gregorianus auf dem Stand von 1883 (Pothier) eingefroren.

Eugene Cardine, selbst Mönch in Solesmes, durchbricht diese Paralyse, indem er die St.Galler Handschriften nach dem Sinn ihrer Episeme, Zusatzbuchstaben, Sonderformen der Neumen etc. befragt. Er begründet die Semiologie und sucht den eigentlichen Sinn der Zeichen zu ergründen. Gleichzeitig hat die zünftige Paleographie vieles über das Alter und den Stellenwert der Handschriften dazugelernt. In seiner Praxis selbst nie über eine bessere Paleographie hinausgekommen, legte Cardine den Grundstein für ein Verständnis der Choralmelodien von der Sprache her. Diesen Weg ging sein Schüler Godehard Joppich konsequent weiter. Seine Erkenntnisse zur Liqueszenz, zu „ritenuto, ritardando und accelerando“ x), zum sprachlichen Zugriff, haben erst das Tor zu einer wirklich wortgezeugten, einer artikulierenden Gregorianik geöffnet.

Die heutigen digitalen Möglichkeiten, Quellen so aufzubereiten, dass sie ohne Zeitverlust verglichen werden können, sind die Voraussetzung für einen nächsten Schritt. Die gregorianischen Bausteine der Melodien, die Centones aufzufinden, zu markieren und in den wesentlichen Quellen zu vergleichen, bringt eine neue Ebene in die Durchleuchtung der gregorianischen Melodie/Texte. Die Centologie fragt nach der „ars cantilenae“, sie fragt, nach welchen Regeln die Melodien gebaut sind.


Interpunktion - Typos - Cento - Formula

Rezitation - Interpunktions-Formel/Melisma

Typos - Cento - Formula

Melisma


Sprachrhythmus

Lateinische Grundregel

Zwischen zwei betonten Silben können 1 oder 2 unbetonte Silben stehen. Sind es 3 oder mehr, so werden entsprechend der Grundregel Hilfsakzente geschaffen.

Gállia est ómnis divísa
/ . . . / . . / .
Gálliá est ómnis divísa
/ . / . / . . / .

Zumindest in der Lyrik darf nie ein Akzent auf der letzen Silbe stehen

In princípio erat vérbum et vérbum érat apud déum et déum erat vérbum

Am Anfang war das Wórt und das Wort war bei Gótt und Gott war das Wórt

Cursus

Gregorianischer Choral ist das Produkt der Begegnung von lateinischer klassischer Kultur mit dem germanischen strukturellen Denken und Sprachempfinden.

PPO - PO - O

Oxytonon cf.: 0833

steile Fügung

antiphon/einleitung.1578053054.txt.gz · Zuletzt geändert: 2020/01/03 12:04 von xaverkainzbauer